Was
ich aus meiner Kindheit retten möchte? Am liebsten alles.
Wenn
man klein ist, wünscht man sich nichts mehr, als endlich groß zu sein.
Aber was bedeutet das eigentlich? ‚Groß‘ sein? Ein paar Zentimeter zu wachsen? Gut, das kriegen die meisten mehr oder weniger hin. Aber was kommt danach? Fragt sich das irgendjemand?
Aber was bedeutet das eigentlich? ‚Groß‘ sein? Ein paar Zentimeter zu wachsen? Gut, das kriegen die meisten mehr oder weniger hin. Aber was kommt danach? Fragt sich das irgendjemand?
Nein.
Weil man solche Fragen in der Kindheit nicht stellt. Weil man morgen morgen
sein lässt und nicht unbedingt mehr Sorgen als gemeine Mitschüler hat.
Aber
auch das geht vorbei. Denkt man zumindest.
Denn
plötzlich steht man da: auf dem Papier erwachsen und im Kopf noch kein
Stückchen weiter. Wo sind die ganzen Träume hin? Liegen sie noch vor einem oder
hat man sie bereits verpasst? Warum ist man nicht so ‚cool‘ geworden wie die
Großen im Fernsehen? Warum war man nicht der Beliebteste auf der Schule? Und
warum sind die ganzen Freunde, denen man geschworen hat, sie niemals zu
verlassen auf einmal nicht mehr da?
Ist irgendetwas schief gelaufen? Oder ist das alles vielleicht doch nicht so einfach?
Ist irgendetwas schief gelaufen? Oder ist das alles vielleicht doch nicht so einfach?
Dann
ist man plötzlich auf sich selbst gestellt, ist eigentlich schon erwachsen aber
kann nicht mal die eigenen Hemden bügeln, kann Auto fahren aber weiß nicht
wohin, sieht nur, dass alles immer und immer schwieriger wird. Man will Arzt
werden, immer noch, aber dann, ganz plötzlich stellt man sich die ersten
Fragen: Was, wenn ich keinen Studienplatz bekomme? Was, wenn ich mir das
Studium nicht leisten kann? Was, wenn ich Kinder bekommen will? Was, wenn ich
dafür doch ganz einfach nicht geeignet bin?
Und
dann ist da der erste Partner, der einen dann doch nicht auf einem weißen
Schimmel gerettet hat und die Eltern sind plötzlich keine Helden mehr.
Haustiere, die scheinbar immer da waren sterben, Gebäude verschwinden,
vertraute Gesichter werden faltig, alles verändert sich und man fragt sich: Wo
ist die Zeit geblieben?
Wo
eben noch der kleine Laden von der fröhlichen alten Dame war, ist jetzt ein
Copyshop, der Kinderarzt ist pensioniert, das vertraute Kaufhaus wegsaniert,
die alten Klamotten sind im Container und die Kuscheltiere reden plötzlich
nicht mehr.
Und
dann frage ich mich: Was will ich retten?
Antwort:
die Zeit.
Ich
hänge dazwischen, zwischen den Stühlen, und die Zeit vergeht bloß immer
schneller. Große Städte, Menschen, Erinnerungen werden klein, das Wachsen hört
auf. Ist man jetzt groß?
Nein,
ich bin nicht groß, ich bin ja noch nicht mal irgendwas.
Und
dann wünsche ich mir diese Zeit zurück, die ich bloß immer hinter mir lassen
wollte.
Dann
merke ich, dass alles schwieriger geworden ist. Dass man nicht einfach
plötzlich groß ist, sondern dass ein langer, beschwerlicher Weg zwischen der
Kindheit und dem zu liegen scheint, was schließlich das ‚eigene Leben‘
bedeutet.
Man
kann die Zukunft nicht mehr mit einem „Wollen wir Freunde sein?“ bestreiten.
Man
muss Brücken bauen, sie einreißen, schwimmen.
Man
muss Ozeane überqueren und darf vorher auf keinen Fall vergessen, ein Floß zu
bauen.
Man
muss genau darüber nachdenken, was man tut, denn jeder Schritt führt in eine
andere Richtung. Und diese Menschen, die einen stets in die richtige Richtung
gelenkt haben, sind jetzt nicht mehr da.
Man ist auf sich allein gestellt.
Das
muss man erst mal begreifen. Das ist der erste Schritt. In die richtige
Richtung. Vielleicht. Hoffentlich.
Man
zieht die Knieschoner aus und die Ernsthaftigkeit an.
Und
dann steht man da: groß aber irgendwie auch nicht.
Und
hier stehe ich. Bereit, aber irgendwie auch nicht.
Was
ich retten will? Alles.
Was
ich retten kann? Nichts.
Aber
vielleicht ist es auch besser so.
Wachsen
kann jeder, mehr oder weniger. Zumindest körperlich.
Aber
geistig wächst man an Veränderung. An Erfahrung.
Und
das ist im Endeffekt die Größe, auf die es ankommt, wenn man ‚groß‘ sein will.
Und
ich werde jeden Tag ein bisschen größer.