Dienstag, 28. Mai 2013

Kindheit - Wettbewerbsbeitrag - 2012



Was ich aus meiner Kindheit retten möchte? Am liebsten alles.

Wenn man klein ist, wünscht man sich nichts mehr, als endlich groß zu sein.
Aber was bedeutet das eigentlich? ‚Groß‘ sein? Ein paar Zentimeter zu wachsen? Gut, das kriegen die meisten mehr oder weniger hin. Aber was kommt danach? Fragt sich das irgendjemand?
Nein. Weil man solche Fragen in der Kindheit nicht stellt. Weil man morgen morgen sein lässt und nicht unbedingt mehr Sorgen als gemeine Mitschüler hat.
Aber auch das geht vorbei. Denkt man zumindest.

Denn plötzlich steht man da: auf dem Papier erwachsen und im Kopf noch kein Stückchen weiter. Wo sind die ganzen Träume hin? Liegen sie noch vor einem oder hat man sie bereits verpasst? Warum ist man nicht so ‚cool‘ geworden wie die Großen im Fernsehen? Warum war man nicht der Beliebteste auf der Schule? Und warum sind die ganzen Freunde, denen man geschworen hat, sie niemals zu verlassen auf einmal nicht mehr da?
Ist irgendetwas schief gelaufen? Oder ist das alles vielleicht doch nicht so einfach?

Dann ist man plötzlich auf sich selbst gestellt, ist eigentlich schon erwachsen aber kann nicht mal die eigenen Hemden bügeln, kann Auto fahren aber weiß nicht wohin, sieht nur, dass alles immer und immer schwieriger wird. Man will Arzt werden, immer noch, aber dann, ganz plötzlich stellt man sich die ersten Fragen: Was, wenn ich keinen Studienplatz bekomme? Was, wenn ich mir das Studium nicht leisten kann? Was, wenn ich Kinder bekommen will? Was, wenn ich dafür doch ganz einfach nicht geeignet bin?
Und dann ist da der erste Partner, der einen dann doch nicht auf einem weißen Schimmel gerettet hat und die Eltern sind plötzlich keine Helden mehr. Haustiere, die scheinbar immer da waren sterben, Gebäude verschwinden, vertraute Gesichter werden faltig, alles verändert sich und man fragt sich: Wo ist die Zeit geblieben?
Wo eben noch der kleine Laden von der fröhlichen alten Dame war, ist jetzt ein Copyshop, der Kinderarzt ist pensioniert, das vertraute Kaufhaus wegsaniert, die alten Klamotten sind im Container und die Kuscheltiere reden plötzlich nicht mehr.

Und dann frage ich mich: Was will ich retten?
Antwort: die Zeit.

Ich hänge dazwischen, zwischen den Stühlen, und die Zeit vergeht bloß immer schneller. Große Städte, Menschen, Erinnerungen werden klein, das Wachsen hört auf. Ist man jetzt groß?
Nein, ich bin nicht groß, ich bin ja noch nicht mal irgendwas.

Und dann wünsche ich mir diese Zeit zurück, die ich bloß immer hinter mir lassen wollte.
Dann merke ich, dass alles schwieriger geworden ist. Dass man nicht einfach plötzlich groß ist, sondern dass ein langer, beschwerlicher Weg zwischen der Kindheit und dem zu liegen scheint, was schließlich das ‚eigene Leben‘ bedeutet.

Man kann die Zukunft nicht mehr mit einem „Wollen wir Freunde sein?“ bestreiten.
Man muss Brücken bauen, sie einreißen, schwimmen.
Man muss Ozeane überqueren und darf vorher auf keinen Fall vergessen, ein Floß zu bauen.
Man muss genau darüber nachdenken, was man tut, denn jeder Schritt führt in eine andere Richtung. Und diese Menschen, die einen stets in die richtige Richtung gelenkt haben, sind jetzt nicht mehr da.  Man ist auf sich allein gestellt.
Das muss man erst mal begreifen. Das ist der erste Schritt. In die richtige Richtung. Vielleicht. Hoffentlich.

Man zieht die Knieschoner aus und die Ernsthaftigkeit an.

Und dann steht man da: groß aber irgendwie auch nicht.
Und hier stehe ich. Bereit, aber irgendwie auch nicht.
Was ich retten will? Alles.
Was ich retten kann? Nichts.
Aber vielleicht ist es auch besser so.
Wachsen kann jeder, mehr oder weniger. Zumindest körperlich.
Aber geistig wächst man an Veränderung. An Erfahrung.
Und das ist im Endeffekt die Größe, auf die es ankommt, wenn man ‚groß‘ sein will.
Und ich werde jeden Tag ein bisschen größer.


Irrgarten - Gedicht - 2010



Irrgarten

Trauerschwärze trägt die Nacht.
Und der Mond scheint mir in falscher Pracht,
wie ein Irrlicht von dort oben,
zur falschen Fährte sich erhoben.
Ich stolper über scharfen Stein
Ranken kreuzen meine Wege.
Wird dieser Pfad der rechte sein?
Dass er mich zu ihm bringen möge?

Doch jeder Pfad führt nur ins Nichts.
Ich kann ihn hier nicht wieder finden.
So schmerzt es und bedrückt es mich.
Nur er, er könnt die Qualen lindern.
Doch er ist fort, weg und gegangen,
wohin mein Fuß mich nicht wird tragen.
Die Erinnerung im Herz gefangen,
wollte ich die Suche wagen.

Doch wer nicht will gefunden werden,
der bleibt leider stets verborgen.
Ich könnt durch viele Nächte irrn’,
es gäb’ ja sicher doch kein Morgen.
Nicht mit ihm.
Nur ganz allein.
Er wird nicht wiederkommen.
Ließ mich im Labyrinth allein,
hat mich, mein Leben, meine Liebe,
hat alles mitgenommen.